Die Funktion der Knappenvereine als Ergebnis der Knappschaftsentwicklung
von Dr. Werner Kroker
1984 (aus der Festschrift anlässlich des l00-jährigen Bestehens des Knappen- und Unterstützungsvereins“Glück Auf“ Herbede
Mit der Schließung der Schachtanlage Herbede im Jahr 1972 wurden dem Knappenverein in dieser Stadt — so könnte man meinen – nicht nur seine Daseinsberechtigung, sondern auch sein Betätigungsfeld, gewissermaßen damit sein Nährboden entzogen. Daß dies nicht der Fall ist, zeigt nicht zuletzt in diesem Jahr die aktive Stiftungsfeier des Vereins anläßlich seines 100jährigen Bestehens.
Mancher dem Bergbau fern stehende Zeitgenosse mag sich fragen, ob es denn überhaupt noch Knappen und sogar einen Knappenverein im Süden der Ruhr gibt. Doch unbestritten ist: Der Herbeder Knappen-verein besteht auch über ein Jahrzehnt nach der Stillegung der Zeche noch und kann ein durchaus reges Leben, abwechslungsreiche Betätigungsfelder und eine wohlwollende Anteilnahme seitens der übrigen Bevölkerung verzeichnen. Diese Feststellung wirft Fragen auf, vor allem diejenige nach dem Warum. Und wenn man dieser nach¬zugehen versucht, so läßt sie sich am besten mit der Frage nach dem Woher beantworten. Damit verbunden ist der oft bemühte, hier unerläßliche ‘Blick in die Geschichte“, der gleichzeitig die unter¬schiedliche Entwicklung von Knappschaften und Knappenvereinen verdeutlichen soll.
Die Geschichte der Knappenvereinigungen ist auf das engste verbun¬den mit der Entwicklung des Bergbaus überhaupt. Auf eine einfache Formel gebracht läßt sich festhalten: Knappen gibt es ebenso lange wie den Bergbau selbst, denn sie haben die Bodenschätze gewonnen. Selbst wenn der Begriff “Knappe“ erst im späten Mittelalter – zu¬nächst im Erzgebirge und in den Alpen – geprägt worden ist, haben
Bergleute ihre Tätigkeit schon vortausenden von Jahren verrichtet, zählt ihre Arbeit doch zum Bereich der Urproduktion des Menschen, ebenso wie die Fischerei, die Jagd und die Landwirtschaft.
In den deutschsprachigen Bergbaugebieten sind erste Maßnahmen zur Regelung der sozialen Belange der Bergleute etwa zeitgleich mit dem Auftauchen des Begriffes “Knappen“, d.h. im 13. Jahrhundert, zu verzeichnen. Von Anfang an handelte es sich um Bemühungen auf der Basis eines genossenschaftlich ständischen Zusammenschlusses der Betroffenen. Die Geschichte des “organisierten“ Knappschafts¬wesens nahm hier ihren Ausgangspunkt.
Der Name “Bruderschaft“ für solche frühen Vereinigungen gibt be¬redte Auskunft über das zugrunde liegende Selbstverständnis, über ihren Sinn und Zweck: Der gemeinsam in die “Bruderlade“ eingezahl¬te soq. Buchsenpfennig diente in Notfällen erkrankten oder verun¬glückten Bergleuten sowie ihren Familien bzw. Hinterbliebenen als einzige Unterstützung. Der böhmische König Wenzel II .war einer der ersten Landes- und obersten Bergherren, die solche Vereinigun¬gen akzeptierten. Um das Jahr 1300 legte er in seiner bekannten Kuttenberger Bergordnung Regelungen fest, die die Knappschafts¬kasse betrafen.
Aus den zunächst lokal ausgerichteten Gewohnheiten und Gebräuchen der Knappenvereinigungen entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine allgemeine Rechtsnorm, die in allen späteren Bergordnungen und -gesetzen der Landesherren festgeschrieben wurde und den Knapp¬schaften den Charakter von Pflichtvereinigungen verlieh. Damit be¬fanden sich in der heutigen Sprache ausgedrückt — die ursprüng¬lich kameradschaftlichen Zusammenschlüsse der Knappen bereits auf dem Weg zur späteren Sozialpartnerschaft im Rahmen des gesamten rechtlichen wie wirtschaftlichen Bergbaugefüges. Da auch der Lan¬desherr an einem reibungslosen Geschehen interessiert war, wurde später sogar bestimmt, daß die Knappschaften zur Erfüllung ihrer Gemeinschaftsaufgaben eine finanzielle Unterstützung durch die Bergbauunternehmer, die Gewerken, erhielten.
Das aus dem Jahre ~556 ~ barsten montanbezogene Handschriften aus der frühen Neuzeit, ent¬hält die Abbildung des Brüderhauses in dieser Tiroler Bergstadt und läßt die soziale Zielrichtung der Vereinigung erkennen:
in zahlreichen Betten liegen kranke Bergleute, die versorgt werden, ein Invalide ist vor dem Gebäude zu erkennen.
In den aufblühenden Bergorten gelangten oft auch die Knapp¬schaften bald zu Wohlstand und Ansehen. Als ein weiteres Bei¬spiel sei Annaberg im sächsischen Erzgebirge angeführt. Die dor¬tige Knappschaft hatte wesentlichen Anteil am Bau des Hospitals, u41d schon fünf Jahre nach Gründung der Stadt war sie in der Lage, eine eigene Kirche zu errichten. Als dann 1521 die Annenkirche als neue Stadtkirche fertiggestellt wurde, war es nur zu verständ¬lich, daß sich die Knappschaft mit der Stiftung eines Schreinaltars gewissermaßen selbst ein Denkmal setzte, um voller Stolz auf ihre wichtige Funktion im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben der Stadt hinzuweisen.
Mit Zufriedenheit und Stolz, freilich aus ganz anderen Motiven, blickten auch diejenigen Landesherren auf die Bergleute, die sich in der glücklichen Lage befanden, auf ihren Territorien über er¬giebige
Metallerzlagerstätten zu verfügen. Über den “Zehnten“ waren sie an den Erträgen des Bergbaus beteiligt, und sie wußten, daß es die Knappen waren, durch deren Arbeitsergebnisse die fürstliche Kasse gefüllt wurde. Mit “ihren“ Bergleuten in der Öffentlichkeit, vor allem bei festlichen Anlässen, zu repräsentieren, war daher ein qern qeübter Brauch, ganz besonders im l7.und l8.Jahrhundert, in der Zeit des barocken Absolutismus. Es waren Ereignisse, die ebenso im Zeichen des höfischen Prunks standen wie der staatspo¬litischen Räson und der Demonstration wirtschaftlicher Machtentfaltung.
Bei solchen Paraden mußten die Bergleute Trachten tragen. Beson¬ders die kapuzenförmige Kopfbedeckung, die Gugel, die in erster Linie Schutz vor Feuchtigkeit im Berg bieten sollte, entwickelte sich zum wesentlichen Element der Bergmannstracht und wird noch heute an den Bergkitteln durch die Betonung des Schulterkragens angedeutet. Doch bis hin zu den jetzt noch bei feierlichen Anläs¬sen verwendeten Kleidungsstücken war ein langer Weg, auf dem sich verschiedene, einstmals funktionale Attribute der Bergarbeit bzw. der untertägigen Arbeitsbedingungen herauskristallisierten. Kaum eine andere Tracht kann für sich in Anspruch nehmen, derart berufsspezifisch geprägt zu sein wie die des Bergmannes.
Der schwarze Kittel, der später auch im preußischen bzw. west¬fälischen Bergbau getragen wurde, war allerdings nicht das Resultat einer zufälligen Entwicklung, sondern strenger berg behördlicher Vorschriften. Der Gedanke, landesherrliche Macht in bewußter Anlehnung an militärische Vorbilder zu dokumen¬tieren, lag nahe, und er ermöglichte eine straffe verwaltungsmäßige Durchgliederung des gesamten Personals im Bergwesen. So sieht man alle Beteiligten in Uniformen paradieren, ab¬gestuft nach den jeweiligen Rängen im Produktions- und Ver¬waltungsbereich. Die „Paradetracht“ der Bergleute ist demnach in zweifacher Hinsicht zu interpretieren: Die Bergleute ließen darin gern ihr traditionelles Zusammengehörigkeitsgefühl zum Ausdruck kommen, und gleichzeitig wurde damit deutlich bewiesen, daß sie in der unmittelbaren landesherrlichen Bergverwaltung eine ähnlich straff organisierte wie wichtige Funktion einnah¬men wie das Militär.
Der Bergmann in seiner typischen Kleidung ist in Werken der bilden¬den Kunst durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder dargestellt worden. Dies gilt für die legenden umwobenen Begründer des Mansfelder Kupferschieferbergbaus aus dem 13. Jahrhundert wie für die berühm¬ten Gemälde und Plastiken des belgischen Künstlers Constantin Meunier aus den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.
Doch. zu Meuniers Zeiten hatten sich die Arbeits- und auch die Le¬bensverhältnisse der Bergleute bereits entscheidend geändert. Vor allem die Beschäftigten im vergleichsweise jungen Steinkohlenberg¬bau an der Ruhr waren inzwischen davon betroffen, und sie hatten
selbst mit der verstärkten Förderung des neuen Energieträgers den großen wirtschaftlichen und damit sozialen Umwälzungsprozeß der Industrialisierung entscheidend ausgelöst: Die Aufgabe der staat-
lichen Regie über den Bergbau bis hin zur Reglementierung von De¬tailproblemen des Grubenbetriebes und der Entlohnung sowie die großen anonymen Kapitalgesellschaften. die fortan anstelle der klei¬nen Gewerkschaften die Zechen betrieben, hatten seit der Mitte des letzten Jahrhunderts den Obergang zur freien Lohnarbeit im Sinne des Wirtschaftsliberalismus herbeigeführt. Der einstmals vom Staat mit nicht unwesentlichen Vorrechten bedachte und auf seinen Beruf stolze Bergmann war damit zum Bergarbeiter, zum Beschäftigten in einem modernen Industrieunternehmen, wie Zehntausende andere auch, geworden.
Für die soziale Sicherung der Bergleute und ihrer Angehörigen im Krankheits- und Invaliditätsfall wurden in Preußen zur gleichen Zeit die entscheidenden Weichen gestellt, als 1854 das Gesetz, betreffend die Vereinigung der Berg-. Hütten-, Salmen- und Aufbereitungsarbei¬ter in Knappschaften erlassen wurde. Damit waren die Grundlagen für die gesamte moderne, in ihren Grundzügen heute noch verbindliche Sozialversicherung nicht nur im Bergbau geschaffen. Die Knappschaftsvereine erhielten die Eigenschaft juristischer Institutionen und konnten weitgehend über eine Selbstverwaltung verfügen. l890 schlossen sich die drei im Ruhrgebiet bestehenden Knappschaftsvereine zum All¬gemeinen Knappschaftsverein mit Sitz in Bochum zusammen.
Es ist sicherlich kein Zufall, sondern es besteht vielmehr ein ganz unmittelbarer Zusammenhang mit dieser entscheidenden Entwicklung, daß zur gleichen Zeit in vielen Orten bzw. bei zahlreichen
Schacht anlagen Knappenvereine entstanden.
Die ersten Knappenvereine im Ruhrgebiet wurden gegründet im Jahre 1855 in Altenessen, 1856 in Steele, ein Jahr später in Rellinghausen also im überwiegend katholisch orientierten westlichen Teil des Reviers. Die Mitgliedschaft war ausschließlich solchen Personen vor behalten, die tatsächlich als Bergleute tätig waren.
Gerade das kann als charakteristisch für diese Zusammenschlusse angesehen werden: Mit der gesetzlichen Knappschaftsregelung von 1854 war zwar die soziale Sicherung der Bergarbeiter in persön¬lichen Notfällen weitgehend abgedeckt, aber die Knappschaften hatten damit eine Funktion aufgegeben, die einstmals zu den wichtigsten Motivationen ihrer Gründung gezählt hatte: die bewußte Pflege des Standesbewußtseins ihrer Mitglieder sowie deren Repräsentanz nach außen wie innen. Diese Aufgaben übernahmen nunmehr die neu gegrün¬deten Knappenvereine. Aber auch der ursprünglich ausschlaggebende Gesichtspunkt des sozialen und sozialpolitischen Engagements wirkte weiter. Solche Ziele sahen die Bergleute eher im Zusam¬mengehen mit und unter dem moralischen Schutz der katholischen Kirche realisierbar. Sie war unabhängiger vom Staat als die evan¬gelische Kirche ,und seit längerem schon praktizierten ihre Reprä¬sentanten sozialkritische Reformbestrebungen.
Die Religiosität, die seit je den Bergmannsstand kennzeichnete, kam solchen Tendenzen ganz generell entgegen. Es überrascht deshalb nicht, daß der schon 1863 unweit von Herbede gegründete Knappenverein von Niederwenigern den entsagungsvollen Heiligen Antonius von Padua zu seinem Vereinspatron wählte und bald satzungsgemäß seine Mitglieder verpflichtete, “das Laster der Unmäßigkeit im Ge¬nusse geistiger Getränke“ aufs Gewissenhafteste zu vermeiden.
Das Moment der Geselligkeit stand bei den Vereinsgründungen der späteren Jahre stärker im Vordergrund, und dies bezeichnenderweise im östlichen Ruhrrevier, wo Bergleute evangelischer Konfession zahlenmäßig dominierten. Im Juni 1871 zogen allein im Raum Dortmund neun Vereine mit ihren Fahnen und von Musikkapellen begleitet durch die Straßen. Hier war man mehr auf das “gemütliche Beisammensein“ mit Gesang und Trank ausgerichtet, auf das Veranstalten von Festen, hin und wieder auch das Anhören von Vorträgen. In diesen nicht ge¬bundenen, den sog. freien Knappenvereinen machten sich schnell auch sozialdemokratische Einflüsse bemerkbar. Die ältesten und größten dieser Vereine waren u.a. in Bochum, Langendreer, Witten, Vormholz-Durchholz und Haßlinghausen entstanden.
Stärkeres Eintreten für politische Einflußnahme, Proteste gegen so¬ziale Mißstände und niedrige Löhne am Ende der Gründerjahre. Er¬innert sei an den Essener Bergarbeiterstreik von 1872, führten zu einem zeitweiligen Verbot neuer Knappschaftsvereinigungen, weil Staat und Unternehmer dort Keimzellen des oppositionellen Geistes vermuteten. Und in der Tat waren diese Zusammenschlüsse zu Institu¬tionen herangewachsen, in denen sich kritische Gedanken zur poli¬tischen Situation der Arbeiter artikulierten und sich zu gleichge¬sinnten Zielvorstellungen formulierten.
Verglichen damit entstand der Knappenverein Herbede erst recht spät. Seine Gründung fiel in eine Zeit, da immer noch das Sozialistenge¬setz wirksam war und der Kulturkampf zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche herrschte und sich auch evangelische Knappen vereine bildeten. In der Mitte der achtziger Jahre gab es insgesamt etwa vierhundert solcher Zusammenschlüsse. Es war zugleich die Zeit,
da sich neue politische Entwicklungen abzuzeichnen begannen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Es sei darauf hin¬gewiesen, daß es in der Mitte der achtziger Jahre noch kaum gewerk¬schaftliche Organisationen gab und daß andererseits wenige Jahre zuvor noch in Orten südlich der Ruhr und beiderseits des Flusses Bergleute und Grubenbeamte auf Kosten der Zechen regelmäßig Bergfeste feierten, ‚ja sogar ein Musikkorps unterhielten.
Die frühen Knappenvereine stellten, so hat es der Münchener Historiker Klaus Tenfelde formuliert, “das Vorbild“ für das spätere bergmännische Vereinswesen bereit. In ihnen lebte die ständische Welt durch die Pflege ihrer Zeichen und Symbole fort: durch Fahnen, bergmännische Abzeichen und Uniformen, durch Bergmusik und Festbrauchtum.
Eine wichtige Rolle spielte dabei die Tatsache, daß häufig Mit¬glieder eines Knappenvereins gemeinsam auf einer Schachtanlage beschäftigt waren. Sie kannten sich also nicht nur von den üblichen Kontakten in den noch vergleichsweise kleinen Stadtteilen oder Vor¬orten her, wie dies bei anderen Vereinen üblich war, sondern sie waren oft unmittelbare Arbeitskollegen. Der im industriellen Aufschwung begriffene Steinkohlenbergbau mit seinen Großbetrieben förderte diese Erscheinung. Man arbeitete während der Schicht ge¬meinsam nebeneinander und im Gedinge auch für einander. Die Zechensiedlungen trugen außerdem zur Stärkung der beruflichen, gesell-schaftlichen und persönlichen Bindungen untereinander bei. Dadurch ergaben sich Kameradschafts- und Freundschaftsbeziehungen, die häufig über das vereinsinterne Leben weit hinausgingen. Der Gruß ‘Glückauf“, oft satzungsmäßig verankert, war gewisser¬maßen das Erkennungszeichen der Gemeinschaften nach außen und hob sie von den übrigen Bürgern ab. Hinzu kam die intensive Pflege des gemeinsamen bergmännischen Liedgutes, und auch das trug dazu bei, daß die Knappen wenig Veranlassung sahen, Nichtbergleute in ihren Verein aufzunehmen oder in einem Verein aktiv zu werden, in dem sich Vertreter anderer Berufe oder Branchen zusammengefun¬den hatten.
Eine wohlüberlegte, nicht nur emotional begründete und zugleich verständliche Exklusivität der jeweiligen Gemeinschaften läßt sich nicht von der Hand weisen, und die Vereinsfahne nahm die wohl wich¬tigste Identifikationsfunktion wahr, bei ihr mußte früher schon ein neues Mitglied der Knappschaft einen feierlichen Eid leisten. Oftmals erst nach jahrelangem Sparen in die Vereinskasse erworben, wurde sie mit dem bergmännischen Emblem Schlägel und Eisen ver¬ziert, zum Symbol nicht nur für den Verein, sondern für die Le¬benswelt der einzelnen Mitglieder schlechthin. Die Vereinsfahne stand nicht nur bei den Festivitäten im Mittelpunkt, sie erfüll¬te ihre Funktion auch bei gemeinsamen Kirchgängen und bei der Beisetzung eines Vereinskameraden, war er bei der Arbeit tödlich verunglückt oder eines natürlichen Todes gestorben.
Auch diese Anlässe aus dem praktischen und alltäglichen Vereinsleben zeigen die Motive, die in den letzten Jahrzehnten des vori¬gen Jahrhunderts zur Gründung solch zahlreicher Zusammenschlüsse führten. Sie gipfelten sichtlich in dem besonders stark ausgeprägten Standesbewusstsein der Bergleute. Selbst als die industrialisierte Welt ein allzu stark an Traditionen ausgerichtetes Denken einge¬holt und überholt hatte, versuchten die Bergleute, ihre berufsspezifische Besonderheit zum Ausdruck zu bringen. Die Uniformen, den Vorfahren noch behördlich verordnet, wurden als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einem speziellen Stand aus freien Stücken ge¬tragen, sofern man sich eine Uniform leisten konnte, weil sich die Bergarbeiter, die früheren Knappen, damit von anderen Arbei¬tern deutlich absondern konnten.
Im Jahre 1889, nach dem ersten großen Massenstreik der Bergarbeiter, in einer Zeit verschärfter und qualitativ neuer sozialer Auseinandersetzungen, wurden die Mitglieder der Knappenver¬eine von politisch aktiveren Berufskollegen getadelt. Bei der Dis¬kussion zum Beispiel, welche Abgesandten die Interessen der Berg¬arbeiter auf der geplanten Delegiertenkonferenz in Dorstfeld vertreten sollten, hieß es in einem zeitgenössischen Bericht:
“Man hob hervor, daß nicht Delegierte der Knappenvereine, sondern solche der Zechenbelegschaften Stimmrecht haben sollten. Da die Knappenvereine als Luxusvereine kein rechtes Interesse an der Verbesserung der Bergarbeiterlage zeigten“.
Seit der Gründung des Knappenvereins Herbede sind einhundert Jahre vergangen. Das gesellschaftliche und politische Leben hat sich seitdem entscheidend gewandelt, in den letzten Jahren auch die Rolle, die die Steinkohle bei der Versorgung unseres Landes mit Primärenergie spielt. Der Knappenverein Herbede und zahl¬reiche andere mit ihm sind nach wie vor aktiv. Knappenvereine als Zeichen für die “Sonderbündelei“ der Bergleute abtun zu wollen, hieße, die historischen Umstände, die zu ihrer Gründung führten, zu verleugnen und mißzuverstehen. “Man wird damit“, um abschließend noch einmal Klaus Tenfelde zu zitieren, “nur zu einem Teil der Bedeutung des Vereinswesens bis heute, seinen wiederholten Wandlungen im Industrialisierungsjahrhundert, seinen Richtungs- und Funktionsdifferenzierungen gerecht. Was die einen als Zersplitterung im Kampf um wohlbegründete Rechte, andere unter Hinweis auf Vorbilder und Vereinssitten als ‘Verbürgerlichung‘, als nichtssagende Anpassung an die Gegebenheiten und vorgefundenen Formen einschätzen, war doch für die Betroffenen zugleich auch eine, vielfach die einzige Möglichkeit, Licht in das Arbeiterdasein zu bringen, sich der Umwelt einzugewöhnen und Formen ge¬regelten Zusammenlebens zu finden.‘
Und das war offensichtlich nicht gering einzuschätzen, das Überleben zahlreicher Knappenvereine ohne aktiven Bergbau beweist es zur Genüge.